Bulimie als Ausdruck einer Beziehungsstörung?

Wenn wir die Sprache unseres Körpers verstehen, erhalten wir Hinweise darauf, wie wir als Individuum und Gesellschaft wachsen können, da der Körper als das Zuhause des Unbewussten vermutet wird. Wie gehen wir also aus einer verstehenden Perspektive mit einer Essstörung um? Das bulimische Syndrom wurde erstmals in den 80er Jahren klinisch definiert und betrifft überwiegend junge Frauen in Industriestaaten, weshalb es sich anbietet gesellschaftliche Veränderungen mit dem Störungsbild in Beziehung zu setzen. Sarina Pfeiler untersucht Bulimie psychodynamisch als eine auf Nahrung verschobene Beziehungsstörung, bei der es im Kern um eine Trennung innerer Anteile in liebenswert und nicht liebenswert geht, welche sich sozialen Erwartungen anpasst und auf sämtliche Lebensbereiche übertragen wird. Gegenwärtige therapeutische Forschung wird damit um die Perspektive der verkörperten Sozialität ergänzt. „Das bulimische Syndrom als Beziehungsstörung“ ist im Oktober 2021 im GRIN Verlag erschienen.

Der Körper ist untrennbar mit dem Sozialen verbunden, das in ihm unbewusst eingeschrieben ist. Wenn soziale Regeln und Strukturen den Menschen überwältigen, reagiert der Organismus mit Symptomen. Pfeiler beschreibt Bulimie daher als eine Reaktion der Frauen* auf patriarchale Abhängigkeiten, die konstruiert, institutionalisiert und gewaltvoll aufrechterhalten werden. Sie prüft diese Thesen und geht auf Veränderungs- und Therapiemöglichkeiten ein. Dabei schlägt sie eine Brücke zwischen Psychotherapie, einem psychodynamischen Ansatz und den soziologisch-feministischen Ansätzen von Debora Bergoffen und bell hooks.

Die unsichtbare Krankheit

Das Krankheitsbild der Bulimie ist in unserer Gesellschaft weitgehend unsichtbar und wird selten erkannt oder therapiert, weshalb es relevant ist, es aus weiteren Blickwinkeln zu verstehen. Die Bulimiker*in funktioniert oberflächlich perfekt, innerlich sieht es anders aus. Der Organismus lehnt sich gegen die sozialen Erwartungen auf, indem sich die inneren Aspekte einen Ausdruck verschaffen, die sozial und dadurch auch individuell abgewertet und unterdrückt werden. Pfeiler spricht hier von einer „feministischen Widerständigkeit“. Der Körper versucht ein kollektives Problem individuell zu lösen und gerät in einen Teufelskreis zwischen Auflehnung und Erwartungserfüllung. Eine Krankheit, die deshalb sehr therapieresistent ist. Pfeiler schlägt daher ein Neudenken von Psychotherapie vor. Ihr Buch richtet sich an Menschen, die körper- und psychotherapeutisch arbeiten und forschen sowie an solche, die an der Schnittstelle von Körper, Körperausdruck und Sozialität interessiert sind.

Über die Autorin

Sarina Pfeiler absolvierte einen Master in Motologie mit Schwerpunkt Körperpsychotherapie. Nach zahlreichen Weiterbildungen leitet sie Selbsterfahrungs- und Bewegungsgruppen, hilft als Erlebnispädagogin bei der Persönlichkeitsentwicklung von Jugendlichen und Erwachsenen und referiert über Globales Lernen. In ihrer psychodynamischen Körperarbeit liegt der Fokus stets auf dem tieferen Sinn der Symptome. Aktuell lebt und arbeitet sie in Indien.

Das Buch ist im Oktober 2021 bei GRIN erschienen (ISBN 978-3-34650-435-7).

Direktlink zur Veröffentlichung: https://www.grin.com/document/1101166

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