„Wir müssen erhalten, was seit 2.000 Jahren funktioniert“

Klimaforscher Prof. Hans Reiner Schultz erwartet aufgrund der Folgen des Klimawandels grundlegende Veränderungen im Weinbau

Der Dekan der Hochschule Geisenheim und Klimaforscher Prof. Dr. Hans Reiner Schultz erwartet aufgrund der Auswirkungen des Klimawandels in den kommenden Jahren grundlegende Veränderungen im Weinbau. Dies erklärte er im Interview mit der Redaktion der europäischen Wein-Plattform wein.plus.

„Wir müssen alle Register ziehen, um etwas dort langlebig und nachhaltig zu erhalten, wo es schon seit 2.000 Jahren langlebig und nachhaltig funktioniert. Da müssen Denkmuster geändert werden“, forderte Schultz. Er gilt international als einer der wichtigsten Forscher über die Folgen des Klimawandels im Weinbau. So habe die Universität 2018 in Geisenheim (Rheingau), das genau auf dem 50. Breitengrad liegt, in der Vegetationsphase eine Durchschnittstemperatur von rund 18 °C aufgezeichnet. „Das entspricht dem, was wir zu Beginn dieses Jahrhunderts in Santiago de Chile oder im südaustralischen Adelaide Hills gemessen haben. Beide Orte liegen am 34. Breitengrad“, betonte Hans Reiner Schultz.

Dürre und Trockenheit bedroht den Weinbau nicht nur in den europäischen Anbaugebieten inzwischen massiv. Schultz erwartet in den kommenden Jahren und Jahrzehnten in vielen Regionen eine deutliche Wasserknappheit. Daher hält er die Strategie vieler Produzenten für falsch, durch Bewässerung ihre Ernte zu sichern: „Sie wird in vielen Weinbauregionen schon bald ans Ende kommen, weil Reben als Luxusgut der notwendigen Landwirtschaft das Wasser wegnehmen. Bewässerung kann höchstens eine Zwischenfunktion haben.“

Die wichtigste Strategie gegen Dürre-Ausfälle sind für ihn Unterlagsrebstöcke, die resistent auf Hitze und Trockenheit reagieren. „Wir müssen uns in der Forschung deutlich mehr mit trockentoleranten Unterlagsreben beschäftigen“, erklärte Hans Reiner Schultz. „Fast alle heute von Winzern verwendeten Unterlagen stammen noch aus Züchtungen, die gegen die Reblaus entwickelt wurden. Das ist über 120 Jahre her!“, erklärte er. Die Weinbau-Forscher müssten „heute den existierenden, natürlichen Genpool der Rebsorten mit molekularbiologischen Werkzeugen unter ganz anderen Aspekten anschauen“. Es gebe derzeit aber nur wenige Institutionen, die daran arbeiten. „Es ist eine dringliche internationale Aufgabe, diese Forschung im Verbund anzugehen“, betonte der Klimaforscher im Gespräch mit wein.plus-Redakteur Alexander Lupersböck.

Auch die schnellere Züchtung von pilzwiderstandsfähigen Rebsorten (Piwis) und deren großflächiger Einsatz in den Anbaugebieten sei entscheidend für den Erhalt des Weinbaus in den kommenden Jahrzehnten: „Ohne Piwis werden wir es nicht schaffen, den Green Deal der EU einzuhalten. Die darin festgeschriebene Einsparung von 50 Prozent der Pflanzenschutzmittel ist eine Herausforderung – vor allem für den Weinbau, der den größten Verbrauch an Fungiziden hat. Wir brauchen künftig Rebsorten mit noch stärkeren Resistenzen als die heutigen Sorten.“

Die Züchtung und Forschung liege derzeit aber hauptsächlich bei staatlichen Institutionen. In föderalistisch aufgebauten Ländern wie Deutschland sei es dabei viel schwieriger, sie zu organisieren. „Mit neuen Strategien können – und müssen – wir schneller vorankommen. Wir haben für die Züchtung und Zulassung einer neuen Rebsorte nicht mehr, wie bisher, 25 bis 30 Jahre Zeit. Da wird es zu spät sein“, sagte Prof. Schultz.

Im Zuge der von ihm erwarteten Veränderungen könne auch der Bio-Weinbau womöglich eine wichtigere Rolle als heute erhalten: „Wir wissen aus allen weltweit erhobenen Daten, dass die biologische oder biodynamische Bewirtschaftung im Schnitt 20 bis 25 Prozent weniger Ertrag ergibt. In den warmen Jahren 2018, 2019 und 2020 war die Erntemenge der Bio-Flächen in unseren Versuchsanlagen aber höher als in den konventionell bewirtschafteten Parzellen. Das kann ein Hinweis sein, dass Bio-Systeme sich rascher anpassen. Es gibt zudem Indikatoren, dass Bio-Flächen weniger Treibhausgase verursachen als die konventionellen.“ Doch auch Bio-Winzer werden ihre Arbeit künftig verändern müssen, erwartet Hans Reiner Schultz: „Das Bio-Anbausystem der Gegenwart ist nicht das System der Zukunft. Es muss weiterentwickelt und angepasst werden. Da gibt es unendlich viele Stellschrauben, an denen wir noch forschen müssen.“

Das vollständige Interview ist unter www.wein.plus/de/interview-schultz zu lesen.

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