Keine Entgeltfortzahlung trotz AU-Bescheinigung

Arbeitsgericht Bochum, Urteil vom 12.12.2022 – 4 Ca 1109/22

Keine Entgeltfortzahlung trotz Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach Kündigung

Arbeitsgericht Bochum, Urteil vom 12.12.2022 – 4 Ca 1109/22 –

Das Arbeitsgericht Bochum hat entschieden, dass eine Arbeitnehmerin gegenüber ihrem ehemaligen Arbeitgeber keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung wegen Krankheit hat, obwohl sie nach Eigenkündigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt hatte.

Der Fall:

Die Klägerin war als Büroangestellte tätig. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund Eigenkündigung der Klägerin vom 19.07.2022, zugegangen am 19.07.2022, mit Ablauf des 31.08.2022. Die Klägerin reichte beim Beklagten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für die Zeit vom 21.07.2022 (nächster Arbeitstag nach dem 19.07.2022) bis zum 31.08.2022 mit dem Diagnoseschlüssel F43.1 (Anpassungsstörung) ein. Der Beklagte verweigerte die Entgeltfortzahlung.

Mit ihrer Klage vom 22.09.2022 machte die Klägerin u.a. Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für die Zeit vom 21.07.2022 bis 31.08.2022 geltend. Sie war der Ansicht, ihr stünde ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu. Sie sei im streitigen Zeitraum wegen einer Anpassungsstörung arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Diese Erkrankung habe sie schon länger. Sie trete immer mal wieder auf und sei durch den beruflichen Stress entstanden.

Der Beklagte war der Ansicht, nicht zur Entgeltfortzahlung verpflichtet zu sein. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für den Zeitraum vom 21.07.2022 bis 31.08.2022 sei erschüttert. So decke sich der Zeitraum der behaupteten Arbeitsunfähigkeit praktisch exakt mit dem Zeitraum der Kündigungsfrist.

Das Arbeitsgericht Bochum gab dem beklagten Arbeitgeber Recht und wies Zahlungsantrag ab: Die Klägerin hat für die Zeit vom 21.07.2022 bis zum 31.08.2022 keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Die wesentlichen Entscheidungsgründe:

Das Arbeitsgericht Bochum bestätigte zunächst den grundsätzlich hohen Beweiswert einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung:

„…Der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit wird in der Regel durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung iSd. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG reicht die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung iSd. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG aus, um dem Arbeitgeber das Recht zur Leistungsverweigerung zu entziehen…Der ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt daher aufgrund der normativen Vorgaben im Entgeltfortzahlungsgesetz ein hoher Beweiswert zu. Der Tatrichter kann normalerweise den Beweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt…“

Zugleich zeigte das Arbeitsgericht die Möglichkeiten eines Arbeitgebers auf, der Zweifel an der behaupteten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers hat:

„…Aufgrund des normativ vorgegebenen hohen Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt jedoch ein „bloßes Bestreiten“ der Arbeitsunfähigkeit mit Nichtwissen durch den Arbeitgeber nicht, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit mit einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen hat. Vielmehr kann der Arbeitgeber den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt. Der Arbeitgeber ist dabei nicht auf die in § 275 Abs. 1a SGB V aufgeführten Regelbeispiele ernsthafter Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit beschränkt…Den Beweiswert erschütternde Tatsachen können sich auch aus dem eigenen Sachvortrag des Arbeitnehmers oder aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung selbst ergeben“.

Das Arbeitsgericht führt sodann weiter zur Darlegungs- und Beweislast aus:

„Gelingt es dem Arbeitgeber, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, so tritt hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast wieder derselbe Zustand ein, wie er vor Vorlage der Bescheinigung bestand. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, konkrete Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, die den Schluss auf eine bestehende Erkrankung zulassen. Hierzu ist substantiierter Vortrag z.B. dazu erforderlich, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben und welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet wurden…Soweit er sich für die Behauptung, aufgrund dieser Einschränkungen arbeitsunfähig gewesen zu sein, auf das Zeugnis der behandelnden Ärzte beruft, ist dieser Beweisantritt nur ausreichend, wenn er die Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbindet.“

Das „arbeitgeberfreundliche“ Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21 – half hier dem Arbeitgeber weiter. Das BAG entschied, dass wenn ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis kündigt und er am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben wird, dies den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung insbesondere dann erschüttern kann, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst. Für den hier vorliegenden Fall führt das Arbeitsgericht Bochum aus:

„Im Hinblick auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum ab dem 21.07.2022 liegen ernsthafte Zweifel an deren Richtigkeit vor. Diese ergäben sich daraus, dass die Arbeitsunfähigkeit auf der Diagnose „Anpassungsstörung“ beruht und sich über einen Zeitraum betreffend den nächsten Arbeitstag nach Ausspruch der Kündigung bis zum Kündigungstermin erstreckt…In der Folge trägt die Klägerin (wieder) die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung eines Entgeltfortzahlungsanspruchs nach § 3 Abs. 1 EFZG. Es wäre an ihr gewesen, konkrete Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, die den Schluss auf eine in der streitgegenständlichen Zeit bestehende Erkrankung zulassen.“

Der klägerseits benannte und einvernommene behandelnde Arzt konnte als Zeuge jedoch nicht zur Überzeugung der Kammer bestätigen, dass die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum arbeitsunfähig erkrankt war. Die Ausführungen des Zeugen waren nach Ansicht der Kammer lückenhaft und widersprüchlich zum Vortrag der Klägerin. Der Zeuge konnte weder eine nachvollziehbare Untersuchung noch einen Behandlungsplan darlegen. Mangels der gebotenen Befunderhebung konnte nicht ausgeschlossen werden, dass die Klägerin die Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht hatte. Der vernommene Arzt konnte insoweit auch nicht erklären, warum gerade im vorliegenden Zeitraum, also ab dem ersten Arbeitstag nach Kündigung, die zur Arbeitsunfähigkeit führende Symptomatik (Anpassungsstörung) aufgetreten sein soll bzw. gerade bis zum Ablauf der Kündigungsfrist andauerte.

Fazit:

Der vom Arbeitsgericht Bochum entschiedene Fall behandelt einen arbeitsrechtlichen Klassiker – die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers unmittelbar nach Eigenkündigung oder Kündigung durch den Arbeitgeber.

Die Kammer betont den auch nach o.g. Urteil des Bundesarbeitsgerichts nach wie vor hohen Beweiswert einer durch einen Arzt ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – der aber insbesondere dann, wenn die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung exakt für die Kündigungsfrist ausgestellt wird, erschüttert sein kann. Dies kann dazu führen, dass der behandelnde Arzt vor Gericht als Zeuge aussagen muss.

Nun könnte man meinen, dass insbesondere aufgrund des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient der Arzt vor Gericht „im Sinne des Patienten“ aussagen wird, was in der Regel dazuführen würde, dass der Arbeitnehmer als Kläger einer Entgeltfortzahlungsforderung das Verfahren zu seinen Gunsten entscheiden kann. Hinzu käme für den beklagten Arbeitgeber dann auch noch das Kostenrisiko für die Auslagen des als Zeugen vernommenen Arztes.

Andererseits weiß der Arzt, dass er als Zeuge vollständig und wahrheitsgemäß auszusagen hat. Sollte seine Darlegung relevante Erinnerungslücken aufweisen, ist sie nicht aussagekräftig oder steht sie im Widerspruch zu den Behauptungen des Patienten/Klägers, kann dies dazuführen, dass der Nachweis der Arbeitsunfähigkeit, wie im Bochumer Fall, von der Kammer als nicht geführt angesehen wird und der Arbeitnehmer mit seiner Klage scheitert. Zudem dürfte das Verhältnis Arzt/Patient spätestens jetzt nachhaltig gestört sein.

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