Ist Arbeitszeit wirklich Leistungszeit?

Alice Dehner, Geschäftsführerin der dehner academy, wirft die Frage auf, wie Menschen in Zukunft leben und arbeiten wollen und welche Modelle jetzt gefragt sind.

Der Fachkräftemangel verschärfe sich immer mehr, weshalb Forderungen nach längeren Arbeitszeiten laut werden, um den demographischen Wandel zu kompensieren. So sorgte der Vorschlag der 42-Stunden-Woche von Politik und sogar einigen Unternehmensverbänden unlängst für viel Diskussionsstoff. Dabei wünschten sich zwei Drittel der Arbeitnehmer eine Vier-Tage-Woche. Ein extremer Gegensatz, der Unternehmen derzeit umtreibe. Vor allem, wenn neben dem Fachkräftemangel noch weitere Faktoren wie Wertvorstellung, Erwartungen der jungen Generationen und der Umgang mit dem dauernden Wandel hinzukommen. Alice Dehner ist sich sicher, dass das Ringen um gute Fachkräfte zukünftig einen großen Einfluss auf Unternehmen hat und gibt zu bedenken: „Viele Unternehmen setzen diesbezüglich auf Benefits wie den klassischen Dienstwagen, das E-Bike, neueste Technik in Form von Smartphone und Laptop oder Vergünstigungen bei Fitness-Studios und Co. Allerdings werden diese zunehmend schon Standard und sind nicht mehr ausschlaggebend dafür, ob sich jemand für das Unternehmen entscheidet.“ Es bleibe somit weiterhin die Frage, wie Unternehmen jenseits des Gehalts Vorteile schaffen können.

An dieser Stelle komme das Konzept der 4-Tage-Woche zum Tragen. Dieses umfasse nicht nur das Thema Arbeitszeit, sondern welchen Stellenwert diese zukünftig einnimmt und wie sie in Relation zu sozialen Verpflichtungen und der Freizeit stehe. Daraus resultiere die entscheidende Frage: „Wie wollen wir in Zukunft arbeiten und leben?“ Lebenskonzepte und Wertvorstellung unterliegen aktuell einem großen Wandel. So wurden früher das Familienleben und die Freizeit zugunsten der Karriere geopfert. Heute werde das an vielen Stellen anders bewertet, wie Alice Dehner herausstellt: „Der Sinn der Arbeit wird nicht mehr an der individuellen Karriere gemessen, sondern an dem Wert, den man mit seiner Arbeit für sich selbst und das Unternehmen schafft.“ Dennoch seien die klassisch hierarchischen Organisationsstrukturen noch immer auf das Konzept individueller Karrieren ausgerichtet. Ein Konzept wie die 4-Tage-Woche würde solche Strukturen revolutionieren, was moderne Lösungen und Ideen erfordere, die es noch zu erarbeiten gelte.

Selbstverständlich sei die 4-Tage-Woche keine Universallösung und nicht in jeder Branche und jedem Unternehmen umsetzbar. Dennoch regt Alice Dehner dazu an, die klassische Arbeitswoche zu hinterfragen und die Idee von weniger Stunden weiterzudenken: „Worauf hätte die 4-Tage-Woche einen positiven Einfluss? Welche Faktoren würden einen Wettbewerbsvorteil generieren? Welche Herausforderungen, die wir derzeit in der Arbeitswelt haben, würden davon tangiert und könnten zu einer Lösung geführt werden?“

Viele Unternehmen sorgten sich bei verkürzten Arbeitszeiten um ihre Produktivität, denn noch immer herrsche allseits der Glaube, dass Arbeitszeit automatisch auch Leistungszeit ist. Ein ehrlicher Blick zeige allerdings, dass wohl kaum ein Mensch 8 oder sogar 10 Stunden konzentriert arbeite, insbesondere in einem Beruf, der ihn geistig stark fordert. Alice Dehner führt an dieser Stelle zwei groß angelegte Experimente aus Island an, die zeigen, dass die Produktivität nicht unter der verkürzten Arbeitszeit leidet. In einigen Fällen sei sie sogar gestiegen. Noch immer hätten viele Unternehmen die falsche Vorstellung, dass mehr Zeit am Schreibtisch auch zu höherer Produktivität führt. „Heute haben wir immer mehr Wissensarbeiter, sprich Menschen, die durch Nachdenken und Ideen Produktivität generieren. Und diese können nicht permanent ein gleiches Leistungslevel aufrechterhalten“, so Alice Dehner. Zudem gebe es Personen, die aus eigener Erfahrung berichten, dass sie die verkürzte Arbeitszeit viel effektiver nutzen, da sie konzentrierter sind und sich nicht so viel ablenken lassen. Einen weiteren Faktor, den die Studien aus Island entkräften, ist, dass die Mitarbeitenden aufgrund kürzerer Arbeitszeiten ihr Risiko für Überarbeitung steigern. In der Einführungsphase habe es zwar noch Anpassungsschwierigkeiten und dadurch ein erhöhtes Stresslevel gegeben, doch bereits kurz darauf wurden die Prozesse und Abläufe in den teilnehmenden isländischen Unternehmen so umgestellt, dass die Arbeitszeit effizienter genutzt werden konnte.

Wie sich die Reduzierung einer allgemeinen Arbeitszeit auch positiv auf mehr Diversität auswirkt, erläutert Alice Dehner wie folgt: „Würden alle weniger arbeiten, wäre es für Frauen mit Kindern wesentlich einfacher, ihren Platz im System zu finden. Argumente wie, dass Führung in Teilzeit nicht möglich sei, würden ebenfalls entkräftet. Darüber hinaus hätten beide Elternteile Zeit gewonnen, sich der Familie und den Kindern zu widmen. Mit der 4-Tage-Woche würde somit ein größerer Gemeinsinn hergestellt werden – ein großer Schritt zu mehr Gleichberechtigung.“ In einem abschließenden Fazit spricht sich Alice Dehner klar dafür aus, dass dort, wo es möglich ist, sich ein genauer Blick auf die 4-Tage-Woche lohnt. Diese habe immens positive Auswirkungen auf die Work-Life-Balance und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden. In diesem Zusammenhang sei interessant zu beobachten, dass viele Menschen die gewonnene Zeit auch dafür einsetzen, mehr zu schlafen. So lag der Schnitt vorher bei weniger als sieben Stunden und nach Einführung der verkürzten Arbeitszeit bei knapp acht Stunden. Es sei mittlerweile hinlänglich bekannt, wie wertvoll ausreichend Schlaf für die Leistungsfähigkeit ist und zu mehr Resilienz beiträgt. „Eine 4-Tage-Woche hat somit auch das Potenzial, die organisationale Resilienz zu erhöhen. Es gibt also viele gute Gründe für das eigene Unternehmen, das Konzept unter die Lupe zu nehmen und für sich zu prüfen“, so das Resümee von Alice Dehner.

In ihrem Business Podcast gibt Alice Dehner regelmäßig Impulse für Führungskräfte, Management-Input und Gedanken, die Unternehmen für die Zukunft stärken: www.dehner.academy/podcast/

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