Frankfurt, Juni 2023
Verträge gehören zu den ältesten Formen der Rechtsentstehung und sind Basis jedes Geschäfts! Sie müssen Ihr Geschäftsmodell umsetzen und alles regeln, was im Gesetz nicht allgemein geregelt wird und sie müssen alle Änderungen von gesetzlichen Vorschriften und Rechtsprechungslinien enthalten, die die Parteien nicht akzeptieren bzw. anders gestaltet haben wollen. Und Verträge müssen vielfach Leistungen und Prozesse abbilden und in rechtlich handhabbare Form gießen.
„Ein oft unterschätztes, aber sehr zentrales Thema bei allen internationalen Verträgen ist die Wahl des anwendbaren Rechts und des Gerichtsstandes. Oft werden hier fahrlässig und ungeprüft Wahlen getroffen oder von Vertragsmuster vorgeschlagene übernommen. Ganz große Vorsicht!“ betont Prof. Dr. Christoph Ph. Schließmann, Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht in Frankfurt am Main. „Gerade wenn bei der Rechtswahl in ganz unterschiedliche Rechtssysteme eingestiegen wird, z.B. aus dem Civil Law Kreis Zentral-Europas in den Common Law-Kreis von UK oder US mit ganz unterschiedlichen System-Logiken und Rechtsphilosophien ist Vorsicht geboten.“
I.
Im Falle internationaler Beziehungen ist es im B2B, B2C und auch C2C Bereich grundsätzlich möglich, dass die Parteien eine eigene Rechtswahl treffen, auch dann, wenn sie nicht in der gewählten Rechtsordnung ihren Sitz haben.
Rechtliche Grenzen sind dort gesetzt, wo die Wahl des anwendbaren Rechts die Grundsätze des Odre public (öffentliche Ordnung) verletzten. Odre public bezieht sich auf die fundamentalen Werte, die in einem Rechtsstaat geschützt werden und nicht durch die Parteiautonomie beeinträchtigt werden dürfen. Es ist wichtig zu beachten, dass die genaue Definition und Auslegung von Odre public je nach Rechtsordnung variieren kann.
Obwohl die Parteien normalerweise das Recht wählen können, das auf ihren Vertrag oder ihre Streitigkeit anwendbar sein soll, gibt es Grenzen, wenn die Wahl des Rechts gegen die Grundsätze des Odre public verstößt. Wenn eine Rechtswahl zu einer klaren Verletzung der grundlegenden Prinzipien der Rechtsordnung eines Landes führen würde, kann das Gericht die Anwendung dieses Rechts ablehnen.
Die Grenzen der Rechtswahl basierend auf Odre public können verschiedene Aspekte umfassen, wie beispielsweise:
-Zwingende Vorschriften: Es gibt bestimmte Gesetze, die als zwingend angesehen werden und nicht durch Rechtswahl der Parteien umgangen werden können. Diese zwingenden Vorschriften dienen dem Schutz von Verbrauchern, Arbeitnehmern, der öffentlichen Ordnung usw. Wenn das gewählte Recht gegen diese zwingenden Vorschriften verstößt, kann es nicht angewendet werden.
-Menschenrechte und Grundfreiheiten: Die Anwendung von Recht, das gegen grundlegende Menschenrechte und Grundfreiheiten verstößt, kann vom Gericht abgelehnt werden. Solche Verstöße könnten beispielsweise das Recht auf Leben, Freiheit, Privatsphäre oder das Verbot von Folter und Diskriminierung betreffen.
-Öffentliche Politik: Das Gericht kann die Anwendung eines ausländischen Rechts ablehnen, wenn dies der öffentlichen Politik des Landes widerspricht. Die öffentliche Politik umfasst die grundlegenden Werte und Interessen eines Staates, einschließlich seiner wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Ziele.
Es ist wichtig anzumerken, dass die Beurteilung der Grenzen der Rechtswahl aufgrund von Odre public im Ermessen des Gerichts liegt und von Fall zu Fall unterschiedlich sein kann. Die Auslegung und Anwendung von Odre public wird durch die spezifischen Gesetze und Rechtsprechung des jeweiligen Landes beeinflusst.
In Bezug auf den spezifischen Beispiels-Fall einer Rechtswahl des englischen Rechts und des Gerichtsstands in London, obwohl keine Verbindung zu Großbritannien besteht, müsste das Gericht prüfen, ob diese Wahl gegen die Grundsätze des Odre public im betreffenden EU-Land verstößt. Das Gericht könnte die Rechtswahl und den Gerichtsstand möglicherweise ablehnen, wenn es zu dem Schluss kommt, dass dies gegen die grundlegenden Prinzipien der Rechtsordnung oder die öffentliche Politik des betreffenden Landes verstößt.
II.
Die Wahl des englischen Rechts und des Gerichtsstands in London für einen Rechtsstreit im Civil Law-Bereich in der EU, obwohl keine Verbindung zu Großbritannien besteht, hat Vor- und Nachteile. Nachfolgend werde ich eine genaue und fundierte Erörterung der Pros und Cons präsentieren:
Pros:
-Erfahrung und Expertise: Das englische Rechtssystem hat eine lange Tradition und umfangreiche Erfahrung in internationalen Rechtsstreitigkeiten. Gerichte in London sind mit komplexen grenzüberschreitenden Fällen vertraut und verfügen über Expertise in verschiedenen Rechtsgebieten.
-Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit: Das englische Rechtssystem ist für seine Stabilität und Vorhersehbarkeit bekannt. Es gibt eine umfangreiche Rechtsprechung, die als Präzedenzfälle dient und die Auslegung des Rechts klärt. Dies kann zur Rechtssicherheit beitragen und den Parteien eine klare Vorstellung davon geben, wie der Fall entschieden werden könnte.
-Rechtsmittelverfahren: Das englische Rechtssystem bietet ein etabliertes System für Rechtsmittelverfahren. Parteien, die mit einer Entscheidung nicht zufrieden sind, können Berufung oder Revision einlegen. Dies kann den Parteien ein zusätzliches Maß an Vertrauen in den Rechtsprozess geben.
-Sprache: Englisch ist eine weit verbreitete internationale Sprache, die von vielen Juristen und Geschäftsleuten weltweit verstanden wird. Die Verwendung des englischen Rechts und des Gerichtsstands in London kann die Kommunikation und das Verständnis zwischen den Parteien erleichtern, insbesondere wenn sie aus verschiedenen Ländern kommen.
Cons:
-Kosten: Rechtsstreitigkeiten in London können teuer sein. Die Anwaltskosten, Gerichtsgebühren und andere Ausgaben sind meist höher als in anderen Gerichtsbarkeiten. Wenn die Parteien keinen Bezug zu Großbritannien haben, kann dies eine unnötige finanzielle Belastung darstellen.
-Verzögerungen: Aufgrund der Komplexität und des Umfangs vieler in London verhandelter Fälle kann es zu Verzögerungen kommen. Dies kann den Rechtsstreit in die Länge ziehen und die Kosten weiter erhöhen.
-Anwendbares Recht: Die Wahl des englischen Rechts und des Gerichtsstands in London kann bedeuten, dass eine Rechtsordnung angewendet wird, die keinen unmittelbaren Bezug zu den Parteien oder dem Regelungsgegenstand hat. Dies könnte zu unerwünschten Ergebnissen führen oder die Rechte der Parteien beeinflussen.
-Brexit-Unsicherheiten: Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union hat zu Unsicherheiten im Hinblick auf die Anerkennung und Durchsetzung von Gerichtsentscheidungen geführt. Es besteht die Möglichkeit, dass Entscheidungen eines englischen Gerichts möglicherweise nicht automatisch in anderen EU-Mitgliedstaaten anerkannt werden.
-Letztlich kann es über Art 6 ROM I gerade bei Verträgen mit Konsumenten, also Privat-Yachtkäufen sowieso wieder zu Rückwirkungen ins Wohnsitzrecht des Konsumenten kommen, was dann zu hoher Komplexität der getroffenen Regelungen und unnötigen Wirrwarr durch unterschiedliche Rechtssysteme führt.
Letztendlich hängt die Entscheidung, das englische Recht und den Gerichtsstand in London zu wählen, von den spezifischen Umständen des Falls ab. Wenn die Parteien bereits in Großbritannien ansässig sind oder starke geschäftliche Beziehungen zu Großbritannien haben, kann die Wahl des englischen Rechts und des Gerichtsstands in London sinnvoll sein. In anderen Fällen könnten die höheren Kosten und die Unsicherheiten im Zusammenhang mit Brexit dazu führen, dass alternative Gerichtsbarkeiten in Betracht gezogen werden.
FAZIT:
„Wenn vermeidbar rate ich dringend davor ab, ohne Not ein Recht zu wählen, zu dem meine Mandanten keinerlei Bezug haben und dessen Folgen, vor allem auch in prozessualer Hinsicht sie nicht absehen können. Wer einmal Torpedoklagen aus UK gegenüberstand, weiß, wovon ich spreche“, betont Christoph Schließmann. „Wenn dann immer wieder zu hören sei, dass solche Vertragsmuster angeblich „Standard“ seinen, so ist das falsch. Es entspricht nur einseitigen Interessen, die kritisch zu hinterfragen und zu prüfen sind. Lassen Sie sich niemals ein „Vertrags-Muster“ als „Standard“ vorlegen und akzeptieren dies ohne genaue Prüfung und Verhandlung. Jeder Anwender eines solchen Musters verfolgt damit eigene Ziele. Der Versuch, ein solches Muster über mehrere Rechtsordnungen hin zur „eierlegenden Wollmilchsau“ um zubauen, scheitert meist. Die Konflikte lassen sich nie optimal ausräumen. Fatal, wenn man dann noch in einer Sprache ist, die wenige verstehen und jedes Dokument aufwändig und teuer übersetzt werden muss.“
CPS Schließmann Wirtschaftsanwälte begleitet seit über 30 Jahren Unternehmen in der rechtsicheren Gestaltung internationales Geschäftsbeziehungen.
CPS Schließmann I Wirtschaftsanwälte ist auf maßgeschneiderte Lösungen für erfolgreiche und rechtssichere Geschäftsentwicklung spezialisiert.
Professor Dr. Christoph Ph. Schließmann ist international tätiger Wirtschaftsanwalt in Frankfurt am Main gilt als Stratege unter den Wirtschaftsanwälten an der Schnittstelle von Wirtschaft & Recht mit über 30 Jahren Erfahrung. Christoph Schließmann lehrte 16 Jahre strategische Unternehmensführung und Entrepreneurship in Executive- und MBA-Programmen an St. Galler Business Schools und seit den 90ern am MCI Innsbruck und der Universität Salzburg, wo er seit 2005 Honorarprofessor für Unternehmensführung ist. Christoph Schließmann ist Autor von 10 Fachbüchern, u.a. „Das Konzept Interdependency“ und „Leistungspotenziale im Fadenkreuz (bei bei Springer Gabler erschienen).
Kontakt: CPS Schließmann, Hansaallee 22, 60322 Frankfurt am Main, Tel.: 069/663 779 – 0
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