16 Jahre nach Inkrafttreten der Rentensteuerreform wurden am 31. Mai vom Bundesfinanzhof in München zwei weitreichende Urteile in Anbetracht einer möglichen Doppelbesteuerung von deutschen Renten veröffentlicht. Tobias Gerauer von der Lohi (Lohnsteuerhilfe Bayern) war bei der Urteilsverkündung live vor Ort und wird die Tragweite des Urteils erklären. Obwohl bei beiden Klägern keine Doppelbesteuerung festgestellt wurde, fordern die Urteile eine Nachbesserung des Gesetzgebers für zukünftige Rentnergenerationen. Von dieser Musterklage werden Millionen Rentner profitieren, da ihnen eine Klage erspart bleibt.
Herr Gerauer, welche Jahrgänge werden zukünftig profitieren?
Insbesondere für die Geburtsjahrgänge ab 1972 sollten die Urteile eine Besserung nach sich ziehen. Denn wer 2040 oder später in Rente geht, muss seine Rente vollständig versteuern. So will es momentan das Gesetz. Diese Generationen sind – wie jetzt herauskam – benachteiligt, weil sie ihre Altersvorsorgebeiträge, die sie während ihrer Berufstätigkeit bis 2025 in die Rentenkasse einzahlen, im Gegenzug nicht vollständig steuerlich absetzen können.
Das gerichtliche Credo lautet, dass die erwartete steuerfrei zufließende Rente mindestens so hoch sein muss wie die aus dem versteuerten Einkommen bezahlten Rentenversicherungsbeiträge. Es darf, so der Bundesfinanzhof und zuvor schon das Bundesverfassungsgericht, in keinem Fall zu einer Doppelbesteuerung kommen. Während das System derzeit noch funktioniert, stehen in Zukunft teilweise versteuerten Beiträgen keine steuerfreien Rentenanteile mehr gegenüber.
Wie kam es zu der möglichen Doppelbesteuerung?
Auslöser war eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht, welche die Ungerechtigkeit zwischen der Besteuerung von Renten und Beamtenpensionen anprangerte. Da Pensionäre ihre Bezüge im Alter versteuern müssen, musste eine Anpassung her, entweder die Pensionen weniger besteuern oder die Rentner höher. So entstand das Alterseinkünftegesetz. Mit diesem wurde 2005 beschlossen, die Besteuerung der Renten von vorgelagert auf nachgelagert umzustellen. Wurden früher überwiegend die eingezahlten Rentenbeträge des Arbeitnehmers aufgrund eines geringen Sonderausgabenabzugs besteuert, ist es nun die ausbezahlte Rente.
Allerdings wäre eine sofortige Umstellung der Rentenbesteuerung nicht verfassungsgemäß gewesen, so dass sie fließend über einen Zeitraum von 35 Jahren eingeführt wurde. Bei den aktuellen Urteilen ging es nicht um die nachgelagerte Besteuerung per se, denn die wurde vom Bundesverfassungsgericht bereits geprüft und als verfassungskonform bestätigt. Es ging darum, ob der Staat im Zuge der stufenweisen Umstellung ein Ungleichgewicht für manche Rentner geschaffen hat.
Welche Schwachstellen weist das aktuelle System auf?
Der steuerfreie Rentenbetrag wird mit jedem Renteneintrittsjahr zurückgefahren. Somit werden ab einem bestimmten Zeitpunkt in Abhängigkeit von der Höhe der Renteneinzahlungen die aus versteuertem Einkommen geleisteten Rentenversicherungsbeiträge nicht mehr kompensiert. Denn die Altersvorsorgeaufwendungen können erst ab 2025 vollständig als Sonderausgaben in der Einkommensteuererklärung abgezogen werden.
Genau hier hakt es: Die Altersvorsorgebeiträge konnten bis 2004 nur im Rahmen von niedrigen Höchstbeträgen und ab 2005 nur teilweise steuerlich geltend gemacht werden. Während des Berufslebens wird in der Regel aber länger als 15 Jahre in die Altersvorsorge eingezahlt. Somit ist eine Überschneidung über das ganze Erwerbsleben hinweg möglich. Dies führt zu einem Ungleichgewicht von steuerfreien Ein- und Auszahlungen.
Der derzeitige Bundesfinanzminister hat nach dem Urteil zugesichert, dass dieses Manko für die Rentner nach der Bundestagswahl behoben wird. Nach Ansicht der Lohnsteuerhilfe Bayern müssten in einem ersten Schritt die Beiträge ab sofort vollständig steuerlich absetzbar sein, nicht erst ab 2025. Weiterhin sollte in Betracht gezogen werden, die Besteuerung der Rente bis zum Jahr 2070 zu strecken, um Rentengerechtigkeit für zukünftige Rentnergenerationen zu schaffen.
Wie kann man feststellen, ob eine Doppelbesteuerung vorliegt?
Das ist schwierig! Allerdings hat der BFH erstmals genaue Berechnungsvorgaben gemacht. Bisher hat das Finanzamt neben dem Rentenfreibetrag verschiedene Posten dem steuerfreien Betrag zum Nachteil der Rentner eingerechnet. Damit wurde die steuerfreie Summe in die Höhe getrieben und die Hürde für die Doppelbesteuerung höher gelegt. Ab sofort dürfen der Grundfreibetrag, die Werbungskostenpauschale und die Beiträge zur Krankenversicherung nicht mehr eingerechnet werden.
Der so berechnete jährliche Rentenfreibetrag wird anschließend mit der voraussichtlichen Lebenserwartung multipliziert. Bei der Lebenserwartung wird die Sterbetafel des Statistischen Bundesamt benutzt, da die tatsächliche Lebenserwartung vorab nicht bekannt ist. So ergibt sich die gesamte steuerfrei zufließende Rente. Bei Ehegatten muss eine mögliche Hinterbliebenenrente noch dazu gerechnet werden.
Auf der anderen Seite muss für jedes Beitragsjahr, in dem die Versicherungsbeiträge einbezahlt wurden, ermittelt werden, wie hoch die Beiträge waren, die nicht als Sonderausgaben berücksichtigt wurden. Das heißt, es muss für das gesamte Erwerbsleben, also Jahrzehnte zurück, nachgerechnet werden. Das ist kompliziert, weil sich die abziehbaren Beträge geändert haben und zwischen den unterschiedlichen Sozialversicherungskomponenten und Ehegatten verhältnismäßig aufgeteilt werden müssen. Die Summe der Beiträge, für die kein Sonderausgabenabzug in Frage kam, wird anschließend mit den steuerfrei zufließenden Renten verglichen.
Was ändert sich durch die neue Urteilsverkündung?
Aufgrund dieses Urteils werden einige Rentnergruppen bessergestellt. Sie sind durch ihre persönlichen Umstände eher von einer Doppelbesteuerung betroffen. Das sind Unverheiratete, da bei ihnen keine Hinterbliebenenansprüche einkalkuliert werden müssen, Selbstständige, die in der Regel aus ihrem Nettoeinkommen die Altersvorsorge bestreiten und Männer im Allgemeinen aufgrund ihrer kürzeren Lebenserwartung.
Rentner, die in den vergangenen Jahren einen Einspruch beim Finanzamt mit dem Verdacht auf Doppelbesteuerung eingelegt haben, müssen nun aufgrund der geänderten Berechnungsparameter eine Berechnung durchführen. Sollte sich herausstellen, dass eine doppelte Besteuerung vorliegt, können sie eine Steuerrückzahlung erhalten. Das Problem liegt aber auf der Hand: Der Rentner muss mit seinen Unterlagen und durch eine Berechnung nachweisen, dass eine Doppelbesteuerung der Rente vorliegt. In künftigen Fällen macht ein Einspruch nur dann Sinn, wenn man die Doppelbesteuerung tatsächlich nachweisen kann.
Die Lohi (Lohnsteuerhilfe Bayern e. V.) mit Hauptsitz in München wurde 1966 als Lohnsteuerhilfeverein gegründet und ist in über 300 Beratungsstellen bundesweit aktiv. Mit nahezu 700.000 Mitgliedern ist der Verein einer der größten Lohnsteuerhilfevereine in Deutschland. Die Lohi zeigt Arbeitnehmern, Rentnern und Pensionären – im Rahmen einer Mitgliedschaft begrenzt nach § 4 Nr. 11 StBerG – alle Möglichkeiten auf, Steuervorteile zu nutzen.
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